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Die soziale Demokratie stärken – für den Frieden!

Während ich hier spreche, fallen in der Ukraine Bomben. Seit mehr als zwei Monaten wütet Putins Krieg schon. Zehntausende haben bereits ihr Leben verloren, Millionen ihre Zukunft. «Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts», sagte der ehemalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt 1981 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Wie recht er damit hatte, hatten zu viele von uns glücklicherweise vergessen. Der Krieg löscht Leben aus und lässt die Überlebenden gezeichnet zurück. Ohne Vertrauen in soziale Bindungen, ohne Existenz, in Angst und ohne Zukunft. Der Krieg hinterlässt unvorstellbare Gräueltaten und Barbarei. Krieg ist das Gegenteil von Zivilisation. «Im Atomzeitalter darf es unter keinen Umständen zum militärischen Konflikt zwischen den grossen Mächten kommen. Es gäbe für unendlich viele Menschen keine Rettung», so Willy Brandt weiter. Er fasste damit zusammen, warum Abrüstung die einzige Alternative ist, um unser aller Überleben zu sichern. Es wurde nicht beherzigt. Ob sich dieser Krieg auf europäischem Boden zu einem Krieg zwischen den grossen Mächten ausweitet, wissen wir noch nicht. Und das macht Angst. Noch mehr Angst. Und trotzdem sind wir nicht machlos.

Vor dem Hintergrund des barbarischen Angriffs auf ein souveränes, europäisches Land ist unser Kontinent zusammengerückt. Überall finden beeindruckende Friedensdemonstrationen statt, werden Schutzsuchende aufgenommen, wird um eine gemeinsame Position gegen den Aggressor gerungen und gefunden. Diese gelebte Solidarität, die in der Krise zu gemeinsamem Handeln führt, ist es, die mir in dieser Katastrophen-Zeit Hoffnung gibt.
Nach Jahrzehnten der neoliberalen Entsolidarisierung und Politiklosigkeit haben die Staaten in der Corona-Pandemie ein erstes Mal so etwas wie Handlungsfähigkeit im Innern bewiesen und zeigen jetzt gar eine transnationale Entschlossenheit. Klar, vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Herausforderung von Leben und Tod, Frieden und Sicherheit mag dies ein kleiner Trost sein. Aber es ist etwas, auf dem wir aufbauen können. In dem wir dafür sorgen, dass das Ende des fossilen Zeitalters keine leeren Floskeln bleiben, sondern dass Öl, Gas und Kohle endgültig der Vergangenheit angehören und unsere Zukunft erneuerbar ist. Erneuerbare Energien sind Friedensenergien, das zeigt uns dieser furchtbare Krieg. Er zeigt uns auch, dass unsere Neutralität mehr ist, als der Verzicht auf Krieg. Sie ist der Einsatz für Menschenrechte weltweit. Und das bedeutet, dass unser Land sein Geschäftsmodell endlich grundsätzlich überdenken muss. Keine Geschäfte mehr mit Diktatoren und rücksichtslosen Konzernen. Der Kampf für eine faire Wirtschaft, für Menschenrechte und internationales Recht ist die beste Prävention gegen Krieg und Gewalt.

Der imperialistische Krieg in der Ukraine hat in trauriger Weise auch das neoliberale Dogma der Überlegenheit des freien Marktes entlarvt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schrieb der US-amerikanische Philosoph Francis Fukuyama vom «Ende der Geschichte» und fasste die Arroganz des Neoliberalismus in einer eingängigen Formel zusammen. Diese Formel wurde zum Dogma der herrschenden Politik. Nach dem Untergang des real-existierenden Sozialismus, so der Glaube, würden sich nach und nach alle Weltregionen in kapitalistische Demokratien verwandeln. «Wandel durch Handel», wirtschaftliche Globalisierung und schwache Staaten waren die Rezepte des Westens auf dem Weg in dieses Paradies. Nun haben Corona und ein europäischer Krieg das Dogma mit brutaler Gewalt vom Sockel gestossen, dem zuvor weder 9/11 noch die Finanzkrise wirklich etwas anhaben konnten. Marktradikalismus, die Zerschlagung jeden sozialen Schutzes und Ignoranz gegenüber Menschenrechten, wie wir sie in Russland 30 Jahre vorangetrieben wurden, führen nicht zu Demokratie. Sie zerstören sie.

Aber was kommt nach dem «Ende der Geschichte»? Aus der Asche des Neoliberalismus schlüpfen zwei sehr politische, aber sehr unterschiedliche Phönixe: Die Demokratie und der Autoritarismus. Wer die neue Systemrivalität gewinnt, ist offen. Die russische Friedensbewegung und die reaktionären Nationalist:innen im Europa zeigen, dass beide Projekte ihr Gegenteil in sich tragen. Entscheidend wird sein, wer die besseren Antworten auf wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, Krieg, Klima- und Gesundheitskrise und damit für das gute Leben aller hat. Wenn wir nicht verlieren wollen, müssen wir unsere Demokratie stärken. Und eine richtige Demokratie braucht starke Institutionen und informierte Bürger:innen, bezieht alle ein, schafft Ausgleich und ist umfassend und international.

Der furchtbare Krieg in der Ukraine hat uns gezeigt, wie verletzlich unsere Demokratie ist. Nationalismus und Entsolidarisierung sind der Nährboden für Verbrecher wie Putin. Unser Antwort ist soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Es ist der Kampf für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Löhne, die zum Leben reichen, starke Sozialwerke für alle Fälle, gleiche Rechte für alle und eine solidarische Gesellschaft, die niemanden zurück lässt. Die Stärkung des solidarischen Zusammenlebens stärkt unsere Demokratien. Und eine richtige Demokratie ist das beste Bollwerk gegen Krieg und Faschismus. Das ist es, wofür der 1. Mai steht: Der Kampf für die soziale Demokratie. Für umfassende Sicherheit. International.

Mutter Courage, aus dem gleichnamigen Drama von Bertolt Brecht, erklärt diese Hoffnung ihren Kindern:

Es kommt der Tag, da wird sich wenden
Das Blatt für uns, er ist nicht fern.
Da werden wir, das Volk, beenden
Den grossen Krieg der grossen Herrn.
Die Händler, mit all ihren Bütteln
Und ihrem Kriegs- und Totentanz
Sie wird auf ewig von sich schütteln
Die neue Welt des g’meinen Manns.
Es wird der Tag, doch wann er wird,
Hängt ab von mein und deinem Tun.
Drum wer mit uns noch nicht marschiert,
Der mach‘ sich auf die Socken nun.

Nieder mit dem Krieg! Hoch die internationale Solidarität! Es lebe der 1. Mai!

Rede zum Tag der Arbeit 2022 in Wohlen AG.