Für alle statt für wenige geht anders
Der 12. Februar 2017 ist einer dieser Tage, die in Erinnerung bleiben. Knapp sechzig Prozent der Stimmberechtigten lehnten die Unternehmenssteuerreform III ab, die zu Milliardenausfällen auf Kosten der Bevölkerung geführt hätte. Der geplante Steuer-AHV-Deal führt noch tiefer in diese Sackgasse.
Die Abstimmung war eine Schlappe für eine Allianz von der Grünliberalen Partei bis zu Economiesuisse und eine klare Absage an ihre neoliberale Politik des Steuerwettrüstens, die wenige GewinnerInnen und viele VerliererInnen kennt. Eineinhalb Jahre später scheint es so, als habe es dieses Nein nie gegeben. Die Vorlage des Bundesrats – SV 17 genannt – gleicht in wesentlichen Zügen der verworfenen Unternehmenssteuerreform III (USR III). Der ständerätliche Vorschlag, der Steuer-AHV-Deal, macht beim Kapitaleinlageprinzip zwar eine kleine Korrektur der Fehler der USR II. Gleichzeitig kommt die kleine Kammer den GrossaktionärInnen mit einer tieferen Mindestbesteuerung von Dividenden entgegen. Und auch die ersten Beratungen in der nationalrätlichen Wirtschaftskommission zeigen, dass die Rechte an ihrer ideologischen Linie festhält.
Der Steuer-AHV-Deal verpasst den Moment, einen Ausweg aus der Steuerdumpingstrategie einzuschlagen, mit der die Schweiz international jährlich bis zu 35 Milliarden Franken an Steuersubstrat vernichtet. Ein Steuerwettbewerb, der nie zum Vorteil der Menschen ist, sondern Reichtum noch stärker bei einer globalen Elite konzentriert. Es überrascht, wie schnell die SP-Spitze das Ziel aufgab, die Spirale der ständigen Erpressung durch das internationale Kapital zu durchbrechen. Die Umstände wären günstig. Die Abschaffung der Steuerprivilegien ist unbestritten und dringend. Andere Steueroasen sind ebenso unter Druck wie die Schweiz. Offenbar geben zahlreiche Firmen bereits heute ihre privilegierte Besteuerung «freiwillig» respektive aus Furcht vor internationalen Sanktionen auf.
Neue Steuerschlupflöcher
Die Unternehmenssteuerreform wird so zu einer entgangenen Chance mit langfristigen Folgen. Einmal gewährte Steuerschlupflöcher wird man so bald nicht wieder los. Genau solche Löcher aber ermöglicht die aktuelle Vorlage. Sie kombiniert eine Palette von Steuerumgehungsmöglichkeiten mit einer allgemeinen Gewinnsteuersenkung. Instrumente wie die Patentbox, die Subvention von Forschung und Entwicklung oder der Abzug auf Eigenfinanzierung haben zum Ziel, die Bemessungsgrundlage zu schmälern – also das, worauf überhaupt eine Steuer zu zahlen ist. Die steuerfreie Aufdeckung stiller Reserven ist eine Blackbox mit möglicherweise verheerenden Folgen. Dank solcher Schlupflöcher können Konzerne bis zu siebzig Prozent des Gewinns steuerfrei ausschütten. Obendrauf gibt der Bund den Kantonen eine Milliarde und fordert sie regelrecht auf, ihre Gewinnsteuern für alle Firmen zu senken. Weil davon auch jene profitieren, die bisher regulär besteuert wurden, sind gigantische Mitnahmeeffekte (und damit Abbaupakete bei Bund, Kantonen und Gemeinden) programmiert. Auch die Umsetzungspläne der Kantone stimmen wenig zuversichtlich. Basel-Stadt etwa hat angekündigt, die Gewinnsteuern von 22 auf 13 Prozent zu senken. Der Druck auf umliegende Kantone, mitzuziehen, wächst enorm. Die Abwärtsspirale wird nicht gebremst, sondern angeheizt. Die Bevölkerung darf bezahlen.
Der ständerätlichen Linken ist es gelungen, im AHV-Teil des «Deals» einen Schritt vorwärtszukommen. Die Erhöhung der Lohnprozente zugunsten der AHV kommt einer Reichensteuer gleich. Trotzdem fällt unter dem Strich die Bilanz ernüchternd aus. Die ursprüngliche Forderung nach einer Gegenfinanzierung verkehrte der Ständerat ins Gegenteil. Für jeden Franken, der zu Steuerausfällen führt, soll ein Franken in die AHV gegeben werden. Diese Rechnung geht nicht auf, und von Gegenfinanzierung kann schon gar keine Rede sein. Der Ökonom Marius Brühlhart hat unlängst aufgezeigt, dass die Gesamtbilanz des «Deals» eine deutliche Verteilungswirkung von unten nach oben mit sich bringt.
Ein nationalegoistisches Projekt
Zusammengefasst entpuppt sich der Steuer-AHV-Deal für die Linke als Falle. Sie setzt ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel, wenn sie ihre Zustimmung zu einem ruinösen Steuerwettbewerb gibt, den sie bislang bekämpft hat. Als progressive Kraft an einem der weltweit wichtigsten Konzernstandorte sehen wir uns auch global in der Verantwortung, für ein zukunftsfähiges Steuersystem einzustehen, das dem Rennen um den tiefsten Steuersatz ein Ende setzt. Kurzfristig mag es die SV 17 vielleicht schaffen, die Firmen hier zu halten – oder mittels Schlupflöchern gar neue anzulocken. Von der immer wieder bemühten «Übergangslösung» zu mehr Steuergerechtigkeit ist jedoch wenig zu sehen. Die SV 17 ist ein kurzfristiges, nationalegoistisches Projekt auf Kosten anderer, meist ärmerer Länder. Sie stützt ein Steuersystem für die wenigen auf Kosten aller, hier und anderswo.
Der Gewerkschaftsbund hat sich entschieden, die Gespräche über die flankierenden Massnahmen platzen zu lassen. Warum? Weil er nicht bereit war, auch nur ein Quäntchen Lohnschutz preiszugeben. Dieser doch eher radikale Schritt geniesst unsere uneingeschränkte Unterstützung. Wir fragen uns nur: Warum sollten wir dann im zweiten zentralen Dossier der Legislatur so schnell klein beigeben? Wir lehnen die Steuervorlage in ihrer jetzigen Form entschieden ab.
Meinungsbeitrag von Mattea Meyer, Cédric Wermuth und Fabian Molina erschienen in der WOZ und «Le Courrier»