Meine 1. Mai – Rede in Grenchen
Ich bedanke mich herzlich für die Einladung zu euch nach Grenchen, in eine Stadt, die Jahrzehntelang rot war und der man das auch anmerkt! Grenchen ist eine erfolgreiche, multikulturelle Industriestadt geblieben und ich freue mich schon, wenn ich das nächste Mal komme, weil man hier nicht nur Natur, sondern auch Vielfalt, Kultur und Herzlichkeit geniessen kann. Grenchen ist gross geworden wegen und dank seiner Multikulturalität und als jemand, der diese Multikulturalität aus seiner eigenen Familie und aus seiner schönen Stadt kennt, weiss ich: Sie ist ein Gewinn! Sie macht eigentlich alles besser und grösser: das Essen, die Diskussionen, den Horizont und den Wohlstand. Und wenn ich lese, mit welchem Hass und mit welcher Fremdenfeindlichkeit Rechtsextreme auch in Grenchen immer wieder gegen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationsgeschichte hetzen, dann sage ich: Ohne Zuwanderung wäre Grenchen und wäre die Schweiz nicht so vielfältig, weltoffen und vernetzt wie sie heute ist und dieses Fest heute ist auch ein Fest gegen Hetze und für die Solidarität mit allen Menschen, die hier leben. Ihr gehört dazu und wir sind froh, dass es euch gibt!
Und für dieses erfolgreiche, multikulturelle Grenchen für alle ist es höchste Zeit, dass Grenchen nach zwölf Jahren endlich wieder rot wird und genau dafür kandidiert die wunderbare Angela Kummer am 29. Juni fürs Stadtpräsidium. Grenchen verdient seine allererste Stadtpräsidentin und dafür wünsche ich dir, liebe Angela, von Herzen viel Erfolg! Kaum jemand kennt diese Stadt so gut wie du. Angela ist bestens vernetzt. Sie setzt sich ein und kümmert sich, sie ist wahnsinnig verlässlich, zugänglich, immer respektvoll und hört zu. Und genau deshalb kann sich Grenchen keine bessere Stadtpräsidentin wünschen. Du wirst diese Wahl rocken, Angela!
Das Wählen der eigenen Regierung oder des eigenen Parlaments, etwas, was in der Schweiz auf allen Staatsebenen selbstverständlich ist, wird weltweit leider immer mehr zur Ausnahme. Heute leben weltweit mehr Menschen in Autokratien als in Demokratien. Sie haben das Privileg nicht, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden. Sie werden vielmehr verfolgt, weil sie eine eigene Meinung haben, weil sie das «falsche» Geschlecht haben oder das «falsche» Geschlecht lieben, weil sie an den «falschen» Gott glauben oder den Mächtigen einfach sonst unangenehm sind. Dass auch vermeintlich stabile Demokratien plötzlich ins Wanken geraten können, erleben wir aktuell in den USA. Die neo-faschistische Trump-Regierung reisst dort nicht nur die Grundlagen der auf dem Völkerrecht basierenden Ordnung nieder, erpresst die ganze Welt mit Zöllen, treibt durch Streichung der Entwicklungszusammenarbeit Millionen von Menschen in den Hungertod und betreibt Verrat an der angegriffenen Ukraine. Nein, dieses Regime setzt auch die Grundlage der Demokratie in den USA ausser Kraft, in dem sie sich über Gerichtsurteile hinwegsetzt, Menschen ihres Wahlrechts beraubt, sie deportiert, sie einschüchtert und entrechtet. Noch selten war die Verschmelzung von Raubtier-Kapitalismus und Autoritarismus so klar und deutlich sichtbar, wie mit dieser Regierung. Ganze sieben Milliardäre sitzen in Trumps Regierung. Und diese liefert für sie. Sie senkt die Konzern-Steuern und streicht Gesetze zum Schutz der Allgemeinheit. Sie streichen den Sozialstaat, sie entlassen Angestellte, kürzen die Gesundheitsversorgung und die Löhne. Sie setzen genau das um, was sich Rösti, Martullo-Blocher und Aeschi in der Schweiz offenbar auch wünschen, wenn sie Trump bejubeln. Aber uns allen, der ganzen Welt ist dieses Regime der Oligarchie eine Warnung.
Denn sie zeigt, was passiert, wenn wir unserer Demokratie keine Sorge tragen. Die menschenverachtende Politik der Trumps, Orbans ,Melonis und Mileis und wie diese rechtsnationalistischen Politiker und Parteien alle heissen, ist nur möglich, weil die Demokratie in der Krise ist. Die Demokratie mit ihren Institutionen, ihrem Machtausgleich, ihren Mitwirkungsmöglichkeiten ist den Reichen und Mächtigen ein Dorn im Auge. Wo Demokratie ist, wird Macht beschränkt. Und wer ungeteilte Macht über andere will, muss die Demokratie zurückbauen. Der erste Schritt, um die Demokratie zu schwächen, war und ist immer die Spaltung der Gesellschaft, die Zerstörung der Solidarität. Sie versuchen uns einzuteilen in Ausländer und Inländer, in Männer und Frauen, Stadt und Land. Diese Spaltung und Hetze dienen immer nur jenen, die die Demokratie schwächen wollen und zu verhindern versuchen, dass wir gemeinsam, als Gesellschaft, die grossen Probleme unserer Zeit solidarisch angehen.
Aber warum, liebe Genossinnen und Genossen, haben so viele Menschen den Glauben an die Demokratie verloren und wählen ihre Abschaffer oder tolerieren sie zumindest? Weil sie den Glauben an eine bessere Zukunft verloren haben. Weil sie nicht mehr glauben, dass das Morgen in der Demokratie besser sein wird als das Heute. Weil sie Angst vor Unsicherheit und Veränderung haben. Weil die Demokratie sie enttäuscht hat und sie dabei vergessen, dass es ohne Demokratie noch viel schlimmer wird.
Um das Vertrauen in die Demokratie zu stärken und zurückzugewinnen, hilft nur eines: Den Menschen mit und dank der Demokratie ihre Zukunfts- und Existenzängste nehmen. Wer weiss, dass er oder sie und seine Liebsten genug zum Leben haben und die Zukunft besser wird, nur wer sich aufgehoben fühlt in der Gesellschaft, ist frei und immun gegen die rechte Hetze der Demokratie-Abschaffer. Wer die Demokratie verteidigen will, muss immer wieder aufs Neue dafür sorgen, dass unsere Demokratie eine soziale Demokratie ist. Mit Löhnen, die zum Leben reichen, Renten, die ein Leben im Alter in Würde erlauben, bezahlbarem Wohnraum, einer guten Gesundheitsversorgung und sauberer, erneuerbarer Energie für alle. Und mit einem Staat, der ihnen unter die Arme greift, wenn es nötig ist, so wie wir es in Gerlafingen gemacht haben, als das Stahlwerk fast Konkurs gegangen wäre.
Wir feiern heute den 1. Mai, den Tag der Arbeit, der internationalen Solidarität und der Gerechtigkeit. Dieser Tag und seine Werte sind heute wichtiger denn je. In einem Heute in dem Autoritarismus, Oligarchie, Ungleichheit, Hetze und Spaltung auf dem Vormarsch sind, ist der 1. Mai der Tag, an dem wir Haltung zeigen und zusammen kommen für ein besseres Morgen. Ein Morgen, in dem alle Menschen die gleichen Chancen haben, in dem klar ist, dass Wohlstand erst erarbeitet werden muss, bevor er verdient werden kann und ein Morgen in dem es der nächsten Generation besser geht als der Heutigen. Das ist nicht bloss ein Traum. Fortschritt ist möglich. In 300’000 Jahren Menschheitsgeschichte sind wir kulturell, technisch und zivilisatorisch so unvorstellbar weit gekommen, dass wir eigentlich alle Probleme dieser Welt lösen können. Aber dafür müssen wir gemeinsam Verantwortung übernehmen füreinander, dafür kämpfen und dafür sorgen, dass all jenen, die mit Hass und Hetze ihren Reichtum und ihre Privilegien verteidigen, nicht mehr geglaubt wird. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben. Schreiben wir sie solidarisch zusammen für ein besseres Morgen. Trotz alledem. Gegen Krieg und Faschismus! Es lebe der 1. Mai!