Nicht für Maduro, aber gegen den US-Imperialismus
Der Staatsstreich in Venezuela wurde in den hiesigen Medien mehrheitlich begrüsst. Obwohl es genügend Gründe gibt sich einen anderen Präsidenten für Venezuela zu wünschen als Nicolás Maduro, irritiert diese Begeisterung für eine US-amerikanische Intervention in Lateinamerika. Sie ist Ausdruck von Geschichtsvergessenheit und Geringschätzung von Völkerrecht und Demokratie.
Am 23. Januar rief sich Parlamentspräsident Juan Guaidó zum Präsidenten von Venezuela aus. Dieser Selbstkrönung gingen turbulente Monate voraus. Seit den Präsidentschaftswahlen im Mai 2018 hatte sich die soziale und politische Lage in südamerikanischen Land massiv zugespitzt. Es herrscht eine dramatische Versorgungskrise und gemäss Angaben der Uno flüchteten seit 2014 rund 1,5 Millionen Einwohner_innen aus dem Land. Ihre Lebensumstände sind oft prekär.
Während die Uno in der stark angespannten Situation zu einer Verhandlungslösung zwischen Regierung und Opposition aufrief, hatten die USA bereits vor dem neuerlichen Amtsantritt von Präsident Nicolás Maduro am 10. Januar 2019 den Ton gegenüber Venezuela massiv verschärft. Vize-Präsident Mike Pence rief in einer Rede am 22. Januar zu einem Staatsstreich auf und telefonierte gemäss Medienberichten kurz vor Guaidós Amtsaneignung mit ihm. Mit dem Wissen, dass die USA seit Jahren an einem Machtwechsel in Venezuela arbeiten, überrascht es nicht, dass Präsident Donald Trump bereits eine Stunde nach Guaidós Selbstproklamation ihn als legitimes Staatsoberhaupt anerkannte. Zahlreiche andere Staaten folgten. Die EU wartet mit der Anerkennung eines neuen Präsidenten bisher noch zu und hat Maduro ein Ultimatum für faire Neuwahlen unter internationaler Aufsicht gesetzt. Die USA hatten zuvor allerdings eine massgebliche Rolle gespielt, um den Präsidentschaftswahlen 2018 jegliche Legitimation abzusprechen. Sie torpedierten einen Vermittlungsprozess zwischen Regierung und Opposition unter Leitung des dominikanischen Präsidenten Medina und des ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero Anfang 2018, der faire Neuwahlen unter internationaler Aufsicht zum Ziel gehabt hätte. (Siehe hier.) Die Uno lehnte es auf Druck der USA ab, Wahlbeobachter_innen nach Venezuela zu schicken, obwohl die Regierung Maduro darum gebeten hatte. Das Ziel war klar: Die Wahlen sollten als undemokratisch abgestempelt werden. Nur so konnte man Maduro als Diktator bezeichnen. Ob bei den Wahlen – die Maduro gemäss Endergebnis der regierungstreuen Wahlkommission mit 68 Prozent der Stimmen gewann – tatsächlich betrogen wurde, lässt sich heute deshalb nicht objektiv feststellen. Die rund 350 anwesenden Wahlbeobachter_innen stammten grossmehrheitlich aus mit der venezolanischen Regierung verbündeten Staaten.
Die Lage des venezolanischen Volkes ist schlimm. Und sie droht angesichts der martialischen Töne hüben wie drüben noch schlimmer zu werden. Die politische Agenda hinter der Intervention droht die Lage zusätzlich anzuheizen. Dass die USA keine widerspenstige Regierung in ihrem „Vorhof“ Lateinamerika dulden, haben sie oft genug klar gemacht. Es scheint, als würde die Monroe-Doktrin zumindest teilweise immer noch gelten. Venezuela ist dabei von besonderem strategischem Interesse, weil es sich um ein erdölreiches Land handelt. Diesen Staatsstreich gilt es deshalb in aller Form als imperialistische Intervention zu verurteilen.
In den letzten Tagen warfen mir CVP-Präsident Gerhard Pfister und die Nationalräte Christian Wasserfallen (FDP) und Claudio Zanetti (SVP) deshalb vor, mich auf die Seite der venezolanischen Regierung zu stellen. Das ist infantiler Unsinn. Dass unter der aktuellen zunehmend autoritären venezolanischen Regierung die Menschenrechte nicht garantiert werden, eine humanitäre Krise herrscht und die wirtschaftliche Situation zu einem grossen Teil selbstverschuldet katastrophal ist, würde wohl von keinem vernünftigen Menschen bestritten. (Der Lateinamerika-Spezialist Raul Zelik hat dazu eine lesenswerte Analyse verfasst.) Dies ist in aller Schärfe zu kritisieren. Und die Schweiz muss sich – und hat dies in der Vergangenheit auch getan – für eine Verbesserung der Situation engagieren.
Aber zu behaupten, dass mit einem von aussen gesteuerten Staatsstreich die Situation besser wird, ist ebenso grosser Unsinn und eine himmelschreiende Heuchelei. Seit dem Jahr 2000 haben sich die USA an mindestens acht nicht-demokratischen Regierungswechseln beteiligt. 2001 in Afghanistan, 2003 im Irak, 2004 in Haiti, 2011 in Libyen, 2009 in Honduras, 2013 in Ägypten, ebenfalls 2013 in der Ukraine und 2016 in Syrien. Heute müssen wir ganz nüchtern konstatieren: In keinem dieser Länder ist die Lage heute besser als vorher. In vielen ganz im Gegenteil.
Das humanitäre Völkerrecht ist klar: Es enthält ein implizites Interventionsverbot in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, das mehrfach von der Uno-Generalversammlung bestätigt wurde. Einzig bei schweren Verstössen gegen die Menschenrechte bei den Staatsangehörigen eines Staates oder bei existenzieller Bedrohung kann der UN-Sicherheitsrat eine humanitäre Intervention zur Wahrung des Weltfriedens beschliessen. Zwar wäre der Sicherheitsrat aufgrund des Veto-Rechts im Falle von Venezuela sicherlich blockiert gewesen. Die USA haben aber auch nie einen Antrag gestellt. Zusätzlich widerspricht die Intervention auch der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).
Wer eine demokratischere und friedlichere Welt will, muss das Völkerrecht gegen die Macht des Stärkeren verteidigen. Im Interesse der Krim gegen russische Aggression. Im Interesse des simbabwischen Volkes (Putsch 2018) gegen Einmischung durch die chinesische Regierung. Im Interesse der Ägypter_innen (Putsch 2017) gegen die US-Regierung. Ein Volk muss seine Regierung – wenn immer möglich demokratisch – selber bestimmen. Wir können und sollen uns mit unserer Aussenpolitik mit jedem Volk solidarisieren, dass einen gerechten Kampf für Selbstbestimmung, Menschenrechte und Demokratie führt. Wir können auch im Rahmen der Uno Sanktionen gegen eine ungerechte Regierung erlassen – mit dem Preis, dass die Schweiz wirtschaftlich etwas weniger profitiert. Haltung hat halt ihren Preis. Aber selbst wenn eine Regierung noch so schlecht ist: Sie ausserhalb von Kriegszeiten von aussen zu ändern, hat in der Geschichte noch kaum je eine positive Veränderung angestossen. Denn die intervenierenden Grossmächte interessieren sich eben nicht für Menschenrechte, sondern für strategische und wirtschaftliche Interessen. Und wenn Menschenrechtsverletzungen ein Grund für militärische oder geheimdienstliche Intervention wären, dann müsste man in mehr als die Hälfte aller Länder (inklusive USA) einfallen und würde damit einen Dritten Weltkrieg provozieren. Genau deshalb funktioniert das Völkerrecht nicht so, sondern über Kooperation, Diplomatie, Sanktionen und multilaterale Rechtssysteme wie das Kriegsverbrechertribunal oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diese Instrumente gilt es zu stärken und nicht zu schwächen. Und deshalb: Ein Putsch ist und bleibt ein Putsch. Ob gegen Mursi, Mugabe oder Maduro.
Aus der Krise in Venezuela führen nur faire, demokratische Neuwahlen unter internationaler Aufsicht. Einzig das venezolanische Volk kann bestimmen, wer es regieren darf. Ob einem diese Entscheidung dann passt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt Papier. Aber wer sich Demokrat nennt, darf niemals zulassen, dass einem Volk von aussen eine Regierung aufgezwungen wird. Die Schweiz mit ihrer langen und anerkannten Vermittlerinnen-Kompetenz sollte hier ihre guten Dienste anbieten.