Service Démocratique
Viele tragische Geschichten sind nicht frei von Ironie. So auch die Top-Story dieser Woche nicht. Sie geht so: Ausgerechnet der Verein «Service Citoyen», der einen obligatorischen Freiwilligendienst oder einen freiwilligen Zwangsdienst – je nach Sichtweise – an der Gesellschaft für alle einführen will, findet nicht genügend Freiwillige für die Unterschriftensammlung seiner Volksinitiative und muss diese bei darauf spezialisierten Firmen einkaufen. Dabei merken die Initiant:innen in monatelanger (freiwilliger) Recherchearbeit, dass mit den zu einem Hungerlohn angestellten UnterschriftensammlerInnen etwas nicht stimmen kann. Journalisten der Tamedia-Zeitungen gehen der Sache nach und deckten diese Woche auf, dass bezahlte Unterschriftensammler:innen in den letzten fünf Jahren wohl zehntausende Unterschriften für Volksinitiativen gefälscht haben, was den Behörden zumindest teilweise durch die Lappen ging. Fast ein Dutzend Initiativen sollen davon betroffen sein. (Auch die von Nationalrat Rösti als AKW-Lobbyist mitlancierte Pro-AKW-Initiative, die Bundesrat Rösti letzte Woche dazu gezwungen hat, einen Gegenvorschlag vorzuschlagen, der entgegen dem Volkswillen wieder AKW bauen will.) Die Bundesanwaltschaft ermittelt, auch Kantone und Städte sind mutmasslich betroffen. Politiker:innen aller Parteien sind empört, aber rechts der Mitte immer noch gegen ein Verbot des bezahlten Unterschriftensammelns, weil das gewisse Gruppen von der Demokratie ausschliessen täte. Also alle, die 7 Franken pro Unterschrift bezahlen können und damit sicherlich primär am Gemeinwohl interessiert sind. Service Citoyen halt.
Auf wenig sind wir Schweizer:innen so stolz, wie auf unsere direkte Demokratie. In Zeiten, in denen man sich über fast nichts mehr einig ist, ist die Besonderheit unseres über die Jahrhunderte erkämpfte und verteidigte direkt-demokratische System nach wie vor ein verbindendes Element. Und die direkte Demokratie ist auch etwas Tolles! Aber sie hat eben auch entscheidende Schwächen, nicht nur, dass sie fälschungsanfällig ist. Einen wichtigen Makel haben wir unlängst beseitigt. Nach 175 Jahren Bundesstaat und Volksabstimmungen wissen wir seit letztem Jahr, wer Abstimmungskampagnen bezahlt. Aber immer noch hat über ein Viertel der Menschen, die hier leben, keine Stimme und es dürfen immer noch Menschen nicht abstimmen, weil man sie entmündigt hat. Aber der entscheidendste Makel ist ein anderer: Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte gehören unteilbar zusammen. Immer wieder versuchen die extreme Rechte und ihre Groupies Demokratie gegen Rechtsstaat und Menschenrechte auszuspielen. Wenn das Volk will, dann darf das Volk elementare Grundrechte abschaffen oder Verfahrensrechte beschneiden. Nein, darf es nicht. Den Mut zu haben, gewisse Regeln zum Schutz unserer Demokratie einzufordern, muss doch die Lehre aus dieser tragischen Geschichte sein.
Dieser Beitrag erschien am 06.09.2024 zuerst im «P.S.».