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Stillstand

Diese Woche hat der Bundesrat Alexandre Fasel zum neuen EDA-Staatssekretär ernannt. Sofort überschlugen sich die verbliebenen Schweizer Medientitel mit Psychogrammen, die Rückschlüsse auf die Eignung des neuen obersten Diplomaten zulassen. So erfuhr man etwa, dass Fasel der CVP nahestehe und früher einmal Autorennen gefahren sei. Als ob das gute Voraussetzungen wären, um zu kompromisslern oder im EU-Dossier durchzustarten.

Fasel ist zweifellos ein erfahrender und hochkompetenter Verhandlungskünstler. Ob die Beziehungen der Schweiz mit der EU endlich auf eine solide, zukunftsträchtige Basis gestellt werden können, wird aber kaum etwas mit ihm zu tun haben. Ansonsten müsste man im Umkehrschluss ja konstatieren, dass die fünf (!) bisherigen in der fraglichen Zeit für die EU zuständigen StaatssekretärInnen Rossier, de Wattewille, Baeriswyl, Balzaretti und Leu allesamt unfähig gewesen seien und das Verhältnis Schweiz-EU aufgrund lausigen Verhandlungsgeschicks belastet ist.

Gute Diplomat:innen verhandeln, was man ihnen aufträgt. Und da liegt das Problem. Der zuständige Aussenminister ist primär damit beschäftigt, sein ramponiertes Image aufzupolieren und seine Wiederwahl im Dezember zu sichern. Und die rechte Mehrheit im Bundesrat blockiert sämtliche Vorschläge, die wie bei den Bilateralen I und II einen Kompromiss mit den Sozialpartnern ermöglichen würden. Damals, den EWR-Schock noch in den Knochen, war allen klar: Nur wenn der Wohlstandsgewinn der europäischen Öffnung auch der breiten Bevölkerung zugutekommt, wird diese mehrheitsfähig sein.

Das Problem an der verkachelten Situation mit Europa ist ein politisches. Wollen Mitte und FDP eine mehrheitsfähige Lösung gegen die rechtsnationalistische SVP finden und die europäische Integration voranbringen, die der Schweiz wirtschaftlich und politisch extrem gut getan hat, oder nicht? Seit zwei Jahren finden Vorschläge, welche die allgemein bekannten Probleme lösen würden, im Nationalrat regelmässig eine Mehrheit: Der Auftrag für einen Parlamentsbeschluss über die Ziele der Europapolitik nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen, ein Europa-Gesetz, den Vorschlag eines Stabilisierungsabkommen inklusive der Bezahlung des geschuldeten Kohäsionsbeitrags, eine Analyse zur Angleichung und Verbesserung des Lohnschutzes ans europäische Recht, Aufträge zur engeren Zusammenarbeit beim Katastrophenschutz – dies alles und noch mehr hat die Grosse Kammer beschlossen. Genauso sicher ist aber: Die Mehrheit aus Mitte und FDP im Ständerat hat oder wird alle diese Vorschläge wieder ablehnen.

Wären die Mehrheitsverhältnisse im Ständerat und im Bundesrat so wie im Nationalrat, hätte die Schweiz längst ein gerechtes Zusammenarbeitsabkommen mit der EU abgeschlossen. It’s the majority, stupid! Ob die Schweiz weiter den Stillstand zelebriert oder europapolitisch in die Offensive geht, hängt massgeblich von den Wahlen am 22. Oktober ab. Fasels Erfolgsaussichten werden dann entschieden.

Dieser Beitrag erschien am 30.06.2023 zuerst im «P.S.».