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Alerta, alerta!

286 «Heimatschutzkompanien» wären nach dem Umsturz gebildet worden. Diese hätten «Säuberungen» durchführen und die «Volksfeinde», wie BürgermeisterInnen und andere AmtsträgerInnen, «festnehmen und exekutieren» sollen. Eine neue Regierung unter der Leitung von Heinrich XIII. Prinz Reuss hätte die Demokratie ersetzt und das Deutsche Reich wieder aufleben lassen. Was klingt wie der Plot eines mittelmässigen Sonntagabend-«Tatort» ist skurrile Realität. Letzte Woche verhaftete die Polizei in mehreren deutschen Bundesländern bei einer grossangelegten Razzia die VerschwörerInnen aus der rechtsextremen «Reichsbürger»-Szene, darunter eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin sowie aktive und ehemalige Angehörige der Bundeswehr. Die Möchtegern-PutschistInnen waren bis auf die Zähne bewaffnet und hatten detaillierte Pläne für die Besetzung der bundesdeutschen Institutionen angelegt.

Spätestens seit dem vom ehemaligen Präsidenten Trump angestachelten Sturm aufs Kapitol wissen wir: Auch in vermeintlich stabilen Demokratien sind rechtsextreme Bewegungen ihrem Ziel, einen autoritären, menschenfeindlichen Staat einzuführen oder zumindest die demokratische, rechtsstaatliche Ordnung zu destabilisieren weit näher, als es viele wahrhaben möchten.

Auch in der Schweiz treten faschistische Gruppierungen immer selbstbewusster auf. Vor einem knappen Jahr stellten sich die Mitglieder einer Nazi-Gruppierung an die Demo-Spitze gegen Anti-Corona-Massnahmen oder überfielen unlängst eine Drag-Show für Kinder im Herzen der Stadt Zürich. Nun behauptet wohl niemand, dass der Faschismus in der Schweiz kurz vor der Machtübernahme steht. Trotzdem ist diese neue Selbstsicherheit besorgniserregend. Sie zeigt, dass die Menschenfeinde mit ihrer mörderischen Ideologie keine Angst haben, mit Namen und Gesicht hinzustehen.

Die Geschichte hat uns leider gelehrt, dass weite Teile der bürgerlichen Gesellschaften alles andere als immun sind für rechtsradikale Ideologien. Wenn wir Demokratie-umstürzlerische Vorhaben wie in Deutschland oder den USA verhindern wollen, müssen faschistische Bewegungen frühzeitig und konsequent bekämpft und ihre Taten angeprangert werden. Politisch gibt es hier in der Schweiz noch einiges zu tun: Noch immer blockiert der Bundesrat ein Verbot von Nazi-Symbolen, noch immer erfassen Nachrichtendienst und Polizeibehörden rechte Gewalt nicht als solche, noch immer fehlt eine politische Aufarbeitung der helvetischen faschistischen Kapitel der Vergangenheit.

Wenn die NZZ und andere rechte Zeitungen nun die Ereignisse in Deutschland verharmlosen, zeigt dies aber vor allem eines: Der Widerstand gegen Rechtsextremismus in all seinen Formen ist und bleibt primär Aufgabe einer wehrhaften Zivilgesellschaft und eine Kernaufgabe der Linken. Von alleine wird es nicht besser.

Dieser Beitrag erschien am 16.12.2022 zuerst im «P.S.».