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Brexit-Deal: Das Waterloo der Nationalisten

Seit dem Verhandlungsende des neuen Handels- und Kooperationsabkommens zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU wird in der Schweizer Öffentlichkeit ausführlich über die Konsequenzen dieser Einigung für das Rahmenabkommen diskutiert. Eines ist klar: Der Brexit-Deal wird nicht helfen, die Beziehungen Schweiz-EU zu verbessern.

Am Abend des 24. Dezember twitterte der Britische Premierminister Boris Johnson ein jubelndes Bild von sich. Seine Botschaft: Das Vereinigte Königreich hat sich in den Verhandlungen durchgesetzt. Die Insel hat seine Souveränität zurück. Wirklich? Schaut man sich das über 1200-seitige neue Abkommen etwas genauer an, wachsen mehr als ernsthafte Zweifel an dieser Lesart.

Kern des Abkommens ist ein Freihandelsabkommen (FHA), das den künftigen Handel mit der EU ohne Zölle ermöglichen soll. Das Abkommen ist ergänzt mit weiteren Kooperationen im Bereich Klimaschutz, Fischerei, Verkehr und Sicherheit. Im Zentrum stehen aber der Freihandelsvertrag und die Streitbeilegung bei Differenzen, die dazu vereinbart wurde. Dass in dieser Streitbeilegung der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei der Rechtsauslegung keine Rolle spielen soll, lässt die Nationalist*innen in der Schweiz nun davon träumen, dass auch beim geplanten institutionellen Abkommen (InstA) zwischen der Schweiz und der EU der Gerichtshof rausverhandelt werden könnte. Das ist allerdings nicht nur unmöglich, sondern auch überhaupt nicht wünschenswert. Warum?

Die Beziehungen Schweiz-EU und UK-EU unterscheiden sich ab dem 1. Januar 2021 in einem ganz entscheidenden Punkt: UK ist nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarkts und erhält nur über ein Freihandelsabkommen Zugang zum grössten gemeinsamen Markt der Welt. Das FHA klammert den Handel mit Dienstleistungen aus, die rund 80 Prozent der britischen Wirtschaft ausmachen, wodurch die unvorteilhafteren internationalen Standards der Welthandelsordnung gelten. Damit UK zollfrei in die EU exportieren kann, muss jedes Unternehmen künftig nachweisen, dass bei der Produktion europäische Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards eingehalten wurden. Und alle Produkte müssen durch die EU separat zertifiziert und zugelassen werden – auf Kosten des Exporteurs. UK untersteht also theoretisch nicht mehr EU-Recht, muss sich aber faktisch überall daran halten, weil sie ja weiterhin mehrheitlich in diesen europäischen Binnenmarkt hinein liefern möchten. Mit der umfassenden Diskussion über faire Wettbewerbsbedingungen («level playing field») wird es UK dank der Stärke des EU-Binnenmarktes praktisch verunmöglicht, die europäischen Standards zu unterbieten. Kommt es zu Differenzen bei der Auslegung des FHA oder erfüllt ein Produkt die europäischen Standards nicht in genügendem Masse, kann die EU Zölle erheben und weitere Ausgleichsmassnahmen beschliessen. Erst danach kommt ein Schiedsgericht zum Zug, dass darüber urteilt, ob die politischen Ausgleichsmassnahmen verhältnismässig sind. Für die Wirtschaft im Vereinigten Königreich ist also eher mehr Rechtsunsicherheit angesagt. Die Nationalisten haben nichts gewonnen – das werden die nächsten Jahre zeigen.

Die Schweiz hingegen ist über ein FHA von 1972 und knapp 200 bilaterale Verträge selber Teil des europäischen Binnenmarkts (siehe Vergleich im Kasten).

Bilateraler Weg mit InstA
Freihandelsabkommen UK-EU

Sektorieller Binnenmarktzugang mit teilweiser Rechtsübernahme aus der EU. Grösstmögliche Handelserleichterung für ein Nicht-EU-Land.


Kein Binnenmarktzugang, nur «liberalisierter» Handel. Gegenüber einer Marktintegration wird der Handel für UK verkompliziert.


Teilweise Marktintegration und Gewährung der europäischen Freiheit-en (z.B. Reisefreiheit)


Keine Marktintegration, keine Freiheiten (Erschwernisse bei Reisen in Europa)


Mitwirkungsmöglichkeit in EU-Programmen als Drittstaat
(z.B. Forschung, Bildung)


Mitwirkungsmöglichkeit in EU-Programmen als Drittstaat
(Forschung, aber aktuell ohne Bildung)


Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich (Schengen)


Weitere Zusammenarbeit unklar. Im besten Fall lose.

Kasten: Minimaler Vergleich der beiden Handelsmodelle

Die Schweiz hat also freiwillig europäisches Recht übernommen, denn das ist die grösste Erleichterung in einem grenzüberschreitenden Binnenmarkt: Man gleicht die Rechtsgrundlagen an, damit man einfacher Handel treiben kann Wie das Recht auszulegen ist und wie in einem Streitfall der Konflikt beigelegt werden kann, das muss die Schweiz noch institutionell mit der EU vereinbaren. Das ist der institutionelle Rahmen, den die Schweiz seit Jahren verhandelt. Die EU macht diesen institutionellen Rahmen auch zur Bedingung für weitere sektorielle Marktzugangsabkommen. Hier kommt also das InstA ins Spiel: Ein Schiedsgericht soll in Zukunft bei Differenzen zwischen der EU und der Schweiz abschliessend entscheiden, sofern sich die beiden Parteien nicht vorher einig werden. Unverhältnismässige Ausgleichsmassnahmen sind in Zukunft verboten. Bei seinen Urteilen muss sich das Schiedsgericht auf die Rechtssprechung des EuGH abstützen, sofern es um EU-Recht geht. Wäre das nicht der Fall, müsste eine Parallelinstanz europäisches Recht auslegen. Das wäre, wie wenn statt dem Bundesgericht ein Schiedsgericht bei Streit zwischen der Schweiz und dem Kanton Zürich die Bundesverfassung interpretieren würde. Ein Chaos wäre vorprogrammiert.

Kurz: Die Schweiz verliert mit dem InstA keine Souveränität, denn sie hat sich in mehreren Volksentscheiden freiwillig und aus guten Gründen teilweise dem europäischen Recht unterstellt. Das ist das Wesen des Bilateralen Weges: Wir haben europäisches Recht übernommen. Der Vorteil: Das gemeinsame Recht schafft Rechtssicherheit und schützt vor Willkür. Es ist der einfachste Rahmen für die Arbeitsplätze in der Schweizer Wirtschaft. Nicht mit möglichst grossem Unterschied können wir erfolgreich sein, sondern mit möglichst grosser Integration. Und dank den Bilateralen Verträgen ist die Schweiz Mitglied von Schengen und profitiert von der Personenfreizügigkeit; schweizerische Diplome sind europaweit anerkannt; beim Handel mit den EU-Staaten gibt es in den vereinbarten Branchen nicht nur keine Zölle, sondern eine gemeinsame Anerkennung von Produkten (Konformitäten); und auch für Dienstleistungen schaffen die Bilateralen Verträge Handelserleichterungen.

Es gibt also gute Gründe darauf zu hoffen, dass der Bundesrat im Gespräch mit der EU-Kommission gute Lösungen für die drei offenen Punkte (Lohnschutz, staatliche Beihilfen und Unionsbürgerrichtlinie) im InstA findet. Die gute Nachricht des EU-UK-Deals ist: Die EU und der Bundesrat wollen Lösungen und ein positives Verhandlungsergebnis ist auch in letzter Minute möglich. Aber nur im Rahmen dessen, was realistisch ist.

Fabian Molina und Eric Nussbaumer