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Déjà-vu 

Als ich 2010 ins Stadtparlament von Illnau-Effretikon gewählt wurde – damals hiess es noch Grosser Gemeinderat (GGR) – mussten ich und die sechs anderen Genossinnen und Genossen der SP-Fraktion rasch lernen, dass es eine harte Legislatur werden würde. SVP, FDP und Jungliberale verfügten zusammen über 18 der 36 Sitze im GGR und konnten damit fast jedes Geschäft blockieren.

Es war die Zeit der grösstmöglichen finanzpolitischen Rigidität. Die rechtsbürgerliche Mehrheit setzte alles daran, dass die Ausgaben der Stadt auf keinen Fall steigen durften. Hauptziel während vier Jahren war es, Ende Legislatur den sehr moderaten Steuerfuss zu senken. Und diesem Ziel wurde alles untergeordnet: Ein neuer Spielplatz? Zu teuer. Eine Skateranlage? Braucht es nicht, weil kein Geld. Neugestaltung des Märtplatzes? Luxus!

Und so kam es, dass Sparpakete geschnürt und wichtige Leistungen für die Bevölkerung nicht erbracht wurden. So wurde etwa dem städtischen Personal der Teuerungsausgleich verweigert oder beim kulturellen Angebot gekürzt. Und es blieben wichtige Infrastrukturprojekte liegen. «Nur die Hälfte der Investitionen realisiert» vermeldete der «Zürcher Oberländer» über die Rechnung 2014 am 17. März 2015.

An diese Zeit musste ich in den letzten Monaten bei den Diskussionen rund ums Bundesbudget oft zurückdenken. Eine Politik, die primär auf Kennzahlen anstatt auf die Bedürfnisse der Menschen fokussiert, ist kurzfristig und realitätsfern. Gerade angesichts der riesigen Herausforderungen unserer Zeit, die einen starken und handlungsfähigen Staat brauchen. Man muss sich das einmal vorstellen: Während weltweit die Investitionen der öffentlichen Hand zunehmen, um die Spätfolgen der Corona-Pandemie, die ökologische Transformation, die soziale Wohlfahrt, die Innovationskraft und die militärische Aufrüstung voranzutreiben, kürzt die Schweiz bei den Witwenrenten, der Unterbringung von Asylsuchenden, der Bildung oder der Entwicklungszusammenarbeit. Das erklärte Ziel von Finanzministerin Karin Keller-Sutter lautet: Die Schuldenbremse muss eingehalten werden, komme, was wolle. Das ist auch das Argument gegen jegliche Massnahmen zur Stärkung der Kaufkraft, der Förderung der Gleichstellung oder von Massnahmen für den Klimaschutz.

Nun ist es offensichtlich vollkommen illusorisch, die von den Bürgerlichen vorangetriebene Aufrüstung der Armee sowie den Schweizer Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine und die Unterbringung der Ukraine-Geflüchteten zu finanzieren, gleichzeitig die Corona- Schulden zurückzuzahlen, die anderen staatlichen Leistungen beizubehalten, neue Aufgaben zu antizipieren – und dabei gleich viel Geld auszugeben. Genau das ist aber der irrwitzige Plan der bürgerlichen Mehrheit im Bundeshaus. Die Schuldenbremse wird zur Zukunftsbremse.

Dabei muss man wissen, dass die 2011 in der Verfassung verankerte Schuldenbremse durchaus einen gewissen Spielraum zulassen würde, wie staatliche Einnahmen und Ausgaben ins Lot gebracht werden müssen. Aber einerseits verschärfte das Parlament in der Folge die Verfassungsbestimmung in der Weise, dass aus dem Grundsatz keine neuen Schulden zu machen, das Prinzip des Schuldenabbaus wurde. Und andererseits erlaubt die Schweizer Schuldenbremse explizit ausserordentliche Ausgaben bei ausserordentlichen Ereignissen. In der damaligen Botschaft des Bundesrats wird dabei explizit auf eine Pandemie oder einen Krieg verwiesen. Beide Ereignisse sind in den letzten vier Jahren leider eingetreten.

2014 verloren SVP und FDP ihre absolute Mehrheit im Parlament von Illnau- Effretikon und erhielten damit die Quittung für vier Jahre Politikverweigerung. Die nächsten vier Jahre holten Stadtrat und Parlament viele der liegen gebliebenen Investitionen für das Gemeinwohl auf – und ab und zu halfen sogar rechtsbürgerliche Parlamentarier:innen mit. Das Spar-Dogma war gebrochen. Auch daran denke ich heute oft, wenn Keller-Sutter von ihrer besten Freundin, der Schuldenbremse, schwärmt. Das Spar-Dogma wird früher oder später fallen. Déjà-vu!

Dieser Beitrag erschien zuerst im Sprachrohr (Mai 2024), dem Publikationsorgan der SP Illnau-Effretikon/Lindau.

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