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Fakten statt Fake News: Der Uno-Migrationspakt nützt der Schweiz

Mit grossem Getöse hat die SVP eine Kampagne gegen den von der Schweiz ausgehandelten Uno-Migrationspakt gestartet. Ein durchschaubares Wahlkampfmanöver – könnte man meinen. Aber grosse Teile der Schweizer Medien verbreiten die rechte Propaganda völlig unkritisch. Die kurze Geschichte eines kollektiven Medienversagens in Zeiten von Fake News.

Bis zum 13. September 2018 war der unter der Leitung der Schweiz und Mexiko im Auftrag der Uno-Vollversammlung ausgehandelte Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration der Schweizer Öffentlichkeit völlig unbekannt. Obwohl der Schweizer Botschafter in New York, Jürg Lauber, seit 2016 mit 192 Staaten und im Beisein zahlreichen Nichtregierungsorganisationen über den Inhalt des Compacts verhandelte, las man in der Schweizer Presse nichts darüber. Nicht einmal der feierliche Abschluss der Verhandlungen am 13. Juli war auch nur einem Medium eine Meldung wert. (Mein damaliger Beitrag.) Ganz anders im Ausland: Die deutsche «Tagesschau» berichtete prominent darüber, ebenso die «New York Times». Hierzulande interessierte die Kommunikation der EDA-Zentrale und der Schweizer Uno-Mission die Medien nicht. Kein aussenpolitisches Know-How oder keine Ressourcen in den Redaktionsstuben? Logisch also, dass die Schweizerinnen und Schweizer nichts über den Durchbruch ihres Landes bei der Uno wusste.

Am 13. September änderte sich dies. Die SVP lud einen Tag vor der Beratung des Abkommens im Bundesrat zur Medienkonferenz und schoss aus allen Rohren gegen das Regelwerk. Nationalrat Andreas Glarner «erläuterte» der versammelten Bundeshauspresse das Abkommen. Und die Medien berichteten folgsam: «SVP wehrt sich entschieden gegen Uno-Migrationspakt» («Blick online»), «Welt ohne Grenzen“ («Luzerner Zeitung») oder «Pakt zur Förderung der Migration» (BaZ), titelten sie. Offensichtlich hatte sich keine Journalistin und kein Journalist die Mühe gemacht, einen Blick ins 34-seitige Dokument zu werfen, um zu überprüfen, was wirklich darin steht. Dabei ist Andreas Glarner, der den Schweizer Botschafter Lauber in einer PR-Aktion inzwischen für seine Arbeit angezeigt hat, weiss Gott nicht für seine Faktentreue bekannt.

Alle diese Behauptungen der SVP-Medienkonferenz stehen seither nicht-überprüft in Schweizer Medien, als würden wir unter einem medial gleichgeschalteten Regime leben. Wer sich die Mühe macht, den Compact zu lesen, kann die SVP-Lügen einfach widerlegen. Hier eine Erwiderung auf die grössten Verdrehungen:

Behauptung 1: «Die Uno will globale Personenfreizügigkeit einführen!»

Falsch. Im ganzen Compact wird das nirgendwo gefordert. Vielmehr wird die staatliche Souveränität beim Schutz der nationalen Grenzen klipp und klar festgehalten. Wörtlich heisst es auf Seite 18: «Wir (Anm.: die Staatengemeinschaft) verpflichten uns ferner, Grenzschutzmassnahmen einzuführen, welche die nationale Souveränität, die Rechtsstaatlichkeit, die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Menschenrechte aller Migranten (…) respektieren und nichtdiskriminierend, geschlechtsgerecht und kinderfreundlich sind.» Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die bereits heute durch internationale Abkommen festgehalten ist.

Behauptung 2: «Die Ausschaffungshaft wird generell in Frage gestellt und die diesbezügliche ausländerrechtliche Rechtsberatung hat in Form von unabhängigen Gratisanwälten zu erfolgen.»

Ich würde mir zwar wünschen, dass der Kompakt die Ausschaffungshaft abschaffen will. Dem ist aber nicht so. Ziel 13 lautet: «Abschiebehaft nur als letzte Möglichkeit anwenden und auf Alternativen hinarbeiten.» Damit ist klar, um was es geht: Leute sollen nicht eingesperrt werden, wenn es andere Möglichkeiten der Migrationspolitik gibt. Für viele Staaten mit einem schwachen Rechtsstaat ist diese Zielvorgabe enorm wichtig.

Behauptung 3: «Der Global Compact führt Medienzensur ein.»

Unsinn. Das einzige, was als Massnahme vorgeschlagen wird, ist ein Stopp von staatlichen Subventionen für Medien, die systematisch Intoleranz, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung fördern. Das ist heute schon so: Kein Medium, das «systematisch Intoleranz, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung fördert», hat in der Schweiz Chancen auf irgendeine Form von öffentlicher Unterstützung.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Migrationspakt ist sicherlich nicht perfekt. Wie denn auch? Er ist ein Kompromiss zwischen 192 Staaten. Die Schweiz hat aber ein grosses Interesse, dass sich die Staatengemeinschaft kollektiv um das Phänomen Migration kümmert, klare Regeln und Standards definiert und die Menschenrechte der Migrant_innen stärkt. Nur so lässt sich Migration «sicher, ordentlich und regulär» gestalten. Das schafft Rechtssicherheit und verhindert, dass noch mehr Menschen unter prekären Bedingungen ihre Heimat in Richtung reicherer Länder verlassen müssen. Die Schweiz erfüllt die überwiegende Mehrheit der im Compact geforderten Massnahmen heute schon. Und sie hat alles Interesse daran, dass sich auch andere Länder an diese Regeln halten.

Unser Land hat eine lange und wichtige diplomatische Tradition. Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten vermitteln weltweit in Konflikten, fördern den Frieden und kämpfen in der Uno – oft erfolgreich – für Reformen und Fortschritt. Der Global Compact on Migration ist ein Beispiel dafür. Wenn die Schweizer Medien nicht mehr darüber berichten, was die Schweiz international tut, dann stirbt diese Tradition auf dem Altar rechter Nationalisten. Aussenminister Cassis täte gut daran sich endlich auf diese Tradition zu besinnen, sie den überforderten Medien und einer interessierten Öffentlichkeit zu erklären und zu verteidigen, anstatt in Geiselhaft der SVP den Trump zu mimen.