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Geld ist Zeit

«Besser reich und gesund als arm und krank», lautet der Titel eines satirischen, aber bitterernsten Buchs von Joseph Randersacker und Karin Ceballos Betancur über Gesundheit, Lebenserwartung und Klasse. Die drei Dinge haben nämlich einen engen Zusammenhang. Je reicher jemand ist, desto gesünder und länger lebt er oder sie im Schnitt.

Oder anders gesagt: Das reiche Einkommensfünftel hat eine etwa zehn Jahre höhere Lebenserwartung als das ärmste. Nun ist es in der Schweiz so, dass wer gut verdient, auch früher in Rente geht. Die Frühpensionierungsquote ist im Kredit- und Versicherungsgewerbe von allen Branchen gar am höchsten.

Oder etwas vereinfacht gesagt: Die Reichen arbeiten weniger lang und leben länger gesund, während die Armen länger – oft körperlich – arbeiten und früher krank werden und sterben.

Wenn wir also über eine Erhöhung des Renten-Referenzalters diskutieren, geht es immer um Zeit, Geld – und Klasse. Um die Frage, wem wie viel Lebenszeit nach der Pensionierung bleibt. Und wie viel Geld für die verbleibende Lebenszeit zur Verfügung steht. Bei der AHV-Vorlage 21, über die wir am 25. September abstimmen, hätten 92 Prozent der Bevölkerung weniger vom einen oder vom anderen – und fast alle Frauen von beidem. Nicht wirklich betroffen sind all jene, die über über ihre gesamte Erwerbsbiographie im Durchschnitt mehr als 130 000 Franken im Jahr verdienen und deshalb mehr in die AHV einzahlen, als sie bekommen.

Alle anderen bezahlen mehr und bekommen weniger: Über eine Mischrechnung von weniger Lebenszeit für die Frauen sowie weniger Geld für Frauen und verheiratete Männer nach der Pensionierung sollen rund 7 Milliarden Franken pro Jahr eingespart werden. Und über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer hätten alle mitten in einer anrollenden Inflation noch weniger Geld im Portemonnaie.

Wie eine Prognose des Gewerkschaftsbundes zeigt, werden steigende Mieten und Krankenkassenprämien, die höheren Lebensmittelpreise in Kombination mit der angehobenen Mehrwertsteuer bereits im übernächsten Jahr jährlich eine ganze Monatsrente wegfressen.

Ich finde, dass mehr Menschen reich und gesund statt arm und krank in Rente gehen sollten. Oder zumindest ohne existenzielle Sorgen. Mit dem geplanten AHV-Abbau erreichen wir das genaue Gegenteil. Wir nehmen jenen Zeit und Geld, die sowieso schon zu wenig davon haben. Damit würgen wir die Kaufkraft ab, vergrössern das Problem der Arbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen und lösen kein Problem der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt. Das ist ungerecht und ökonomisch falsch.

Dieser Beitrag erschien am 26.08.2022 zuerst im «P.S.».