Stabil gegen rechts
Jetzt sind sie endgültig durch. Mit den zweiten Wahlgängen für die Ständeratswahlen in fünf Kantonen am vergangenen Sonntag sind die eidgenössischen Wahlen 2023 definitiv vorbei. Endlich, ist man als besonders Direktbetroffener geneigt zu denken. Zeit für ein paar Betrachtungen:
Auch wenn in den letzten Wochen viel über die Niederlage der Grünen und den Sieg der SVP geschrieben wurde, Fakt ist: Die Grünen haben das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Und die SVP hat ‹nur› gut die Hälfte der Verluste von vor vier Jahren kompensiert. Das linke Lager kommt dank dem Sieg der SP (+1,5 Prozent) auf 28,1 Prozent und 64 Sitze im Nationalrat. Mehr als die SVP. Im Ständerat konnte die SP neun Sitze halten und trotz vieler Rücktritte in «Swing States» einen Generationenwechsel vollziehen. Der Frauenanteil sank im Nationalrat zwar leicht (38,5 Prozent), stieg im Ständerat aber auf den höchsten Wert aller Zeiten (28,3 Prozent). Unter dem Strich wurden die Ergebnisse von vor vier Jahren zwar leicht korrigiert. Aber in der längeren Betrachtung war 2023 aus linker Sicht vielmehr eine Bestätigungswahl als eine Trendumkehr.
Auf der rechten Seite konnte die SVP ihre Dominanz bestätigen. Und dennoch verliert die Rechte. Im Schnitt hat die SVP über die letzten fünf Wahlen seit 2003, als sie sich endgültig als grösste Partei etablierte, 27,5 Prozent erreicht. Im selben Zeitraum ist die einst dominierende FDP aber von 19,5 Prozent auf 14,3 Prozent geschrumpft. Oder anders ausgedrückt: Kamen SVP und FDP 2003 noch auf 46,3 Prozent, so erreichen sie heute noch 39,9 Prozent.
Das dritte politische Lager, die Zentrumsparteien CVP und BDP, heute Die Mitte, zusammen mit der GLP, konnte seinen Wähler:innen-Anteil im selben Zeitraum von 14,4 Prozent auf 22,7 Prozent ausbauen.
Am deutlichsten werden sich die Veränderungen zwischen den Blöcken in absehbarer Zeit auf die Bundesratszusammensetzung auswirken. Auch wenn der Mitte der Mut fehlt, bei den Bundesratswahlen am 13. Dezember die FDP anzugreifen, so ist eine Veränderung doch unausweichlich. Es wird nicht lange gehen, bis die Mitte als drittstärkste Kraft ihren Machtanspruch verwirklichen und damit eine überfällige Korrektur des Rechtsrutsches im Bundesrat von 2003 durchsetzen wird. Nach 20 Jahren SVP-FDP-Mehrheit in der Regierung wäre es dann zumindest wieder möglich, sozial- und wirtschaftspolitisch Fortschritte real in Angriff zu nehmen. Die grössten Hindernisse für eine soziale und ökologische Schweiz, wie die Schuldenbremse und die damit verbundene Blockade sämtlicher Zukunftsinvestitionen sowie die Verhinderung eines handlungsfähigen Staates, die Rolle der Schweiz in Europa und der Welt und umfassende Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter, könnten dann endlich angegangen werden.
Ja, die Parlamentswahlen 2023 werden im Gegensatz zu 2019 nicht als aussergewöhnliches Ereignis in die Geschichte eingehen. Aber sie sind Ausdruck einer erneuerten, wiedererstarkenden Linken mit einer sich verändernden Basis. Darauf lässt sich aufbauen.
Ein Schlüssel für die Hegemonie links der Mitte ist die Migrationssowie die Aussen- und insbesondere die Europa-Politik. Wenn die Linke die Deutungsmacht über die Identität der Schweiz erlangen will – und das muss sie, um zu gewinnen –, muss sie glaubwürdige Antworten auf die Fragen «Wer gehört zur Schweiz?» und «Was ist der Platz der Schweiz?» geben.
Meine und weitere ausführliche Wahlanalysen finden sich unter denknetz.ch.
Dieser Beitrag erschien am 24.11.2023 zuerst im «P.S.».