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Verbrechen

Am 16. September 2022 wurde Mahsa Amini im Iran von Sittenwächtern ermordet. Sie lag drei Tage im Koma, bevor sie ihren Misshandlungen erlag. Ihrem ‹Vergehen›, dem nicht korrekten Tragen eines Kopftuchs, sind inzwischen hunderttausende Frauen gefolgt. Der Mord an Mahsa Amini hat einen beispiellosen Widerstand gegen das autoritäre iranische Regime entfacht. Der Zwang zur Verschleierung für Frauen ist dabei zum Symbol für die jahrzehntelange Unterdrückung geworden.

So gross die Solidarität in der Schweizer Bevölkerung mit dem Freiheitskampf der Menschen im Iran ist, so passiv war und blieb es auf Seiten der offiziellen Schweiz. Der Wille des Aussendepartements, klar Position gegen die massive Gewalt zu beziehen und Wege zu suchen, die Proteste zu unterstützen, tendiert gegen null. Routiniert kommuniziert man, was man kommunizieren muss.

Wenn unser Land Anfang 2023 für zwei Jahre im Uno-Sicherheitsrat Einsitz nehmen wird, tut es dies in einer selten schwierigen Zeit. Das höchste Gremium der Menschheit, das für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit theoretisch über umfassende Kompetenzen verfügt, wird seiner Aufgabe nicht gerecht. Nicht nur in Europa, sondern weltweit bestimmen Kriege und ihre katastrophalen Folgen das Leben der Menschen. Jede 10. Person auf unserem Planeten hungert. Der durch Russland ausgelöste Energiekrieg treibt die Preise weltweit in die Höhe – mit gravierenden Folgen für die Ärmsten. Etwa in Tansansia, wo die Lebensmittelpreise und der Treibstoff täglich teurer werden und die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais und Weizen in der Folge explodieren. Die Menschen leiden, es droht eine Katastrophe.

Das Völkerrecht, insbesondere die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, gibt klare Regeln für das friedliche und würdige Zusammenleben auf unserem Planeten vor. Gewalt gegen Demonstrierende: verboten. Ein Angriff auf ein anderes Land: geächtet. Das Recht auf Nahrung: garantiert.

Das unermessliche Leid der Menschen weltweit, von dem wir täglich in den Nachrichten lesen, ist keine Zwangsläufigkeit. Es ist auch kein Zustand, der vom Himmel gefallen wäre. Wir lesen über Verbrechen, die von mächtigen Tätern aktiv begangen werden. Und ungesühnt bleiben.

Kein Mensch käme auf die Idee, Verbrechen gegen das Schweizer Strafgesetzbuch schulterzuckend hinzunehmen. Weil es ungerecht wäre. Weil die Opferzahl zunähme. Weil das Verbrechen legitimiert würde. Verbrechen werden erst dann zur Normalität, wenn sie niemand mehr als solche benennt. Wenn Straflosigkeit herrscht.

Es ist Aufgabe unseres Landes, auf der Seite des Rechts zu stehen. Laut, mutig und verantwortungsvoll.

Dieser Beitrag erschien am 21.10.2022 zuerst im «P.S.».