Zeitenwende der Unmenschlichkeit
Heute jährt sich die russische Invasion der Ukraine zum ersten Mal. Zehntausende haben bisher ihr Leben verloren, Hunderttausende ihre Heimat, ihre Angehörigen, ihre Hoffnung. Das Sammeln von Beweisen der unbeschreiblichen Gräueltaten, die bisher in diesem fürchterlichen Krieg begangen wurden, hat gerade erst begonnen. Während die Opfer ihr Leben lang gezeichnet sein werden, ist unklar, ob die TäterInnen dieser Verbrechen je zur Rechenschaft gezogen werden können. «Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung», hatte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar vor einem Jahr gesagt.
Kriege und bewaffnete Konflikte gab es leider viele seit dem Zweiten Weltkrieg. Meine erste Demo war gegen den verbrecherischen Irak-Krieg. Und dennoch markiert der Krieg gegen die Ukraine einen Epochenbruch: Es ist ein Krieg zur Auslöschung einer Nation, ein kolonialer Krieg mit dem Ziel, das System der kollektiven Sicherheit über den Haufen zu werfen, und es ist ein Krieg gegen die Demokratie.
Während in der Schweiz vor allem SVP-ExponentInnen der russischen Propaganda das Wort reden, haben sich in anderen Ländern auch vermeintlich Linke aus sicherer Distanz zu WortführerInnen einer sogenannten «Friedenslösung» gemacht. Die Vorschläge zielen darauf ab, die Gewalt zum Preis der territorialen Integrität der Ukraine zu stoppen. Was pazifistisch tönt, ist in Wahrheit ein Verrat an der Menschlichkeit. Die Menschen in Spanien, insbesondere die republikanische Linke, haben nach dem verlorenen Bürgerkrieg 1939 erlebt, was ein durch internationales Appeasement erzwungener «Frieden» und die Aufgabe der Demokratie bedeuten: fast 40 Jahre Terror-Herrschaft. Frieden ist eben mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden bedeutet Strukturen für die Sicherheit und den Schutz vor Gewalt für alle Menschen.
Der Zeitenwende der Unmenschlichkeit, die hartnäckig erkämpfte Prinzipien wie die Menschenrechte, die Demokratie und die Selbstbestimmung der Völker vernichten will, müssen wir mit klarem Kopf entschlossen Menschlichkeit entgegenhalten. Das bedeutet weder konzeptloses Aufrüsten noch Naivität gegenüber weiterhin bestehenden geopolitischen Interessen oder Machtstrukturen.
Es heisst: Einstehen für die betroffenen Menschen! Die UkrainerInnen wollen ihre Freiheit verteidigen. Und dazu haben sie nicht nur jedes Recht, sondern auch unsere Solidarität verdient.
Auch nach einem Jahr Krieg gilt: Putin darf nicht gewinnen. Es würde bedeuten, dass sich auch in Europa wieder das Recht des Stärkeren durchsetzt. Die Rolle der Schweiz ist es, die Stärke des Rechts zu verteidigen – im Interesse der gesamten Menschheit.
Dieser Beitrag erschien am 24.02.2023 zuerst im «P.S.».