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Zuwanderung? Zuwanderung!

Am 27. September stimmt die Stimmbevölkerung über die so genannte Begrenzungsinitiative ab. Die SVP gibt vor, damit die Zuwanderung von AusländerInnen in die Schweiz zu reduzieren. Ihr eigentliches Ziel sind aber tiefe Löhne. Das ist brandgefährlich, denn Zuwanderung und europäische Zugehörigkeit sind die Grundlage der Schweiz.

Spätestens seit den 1960er-Jahren ist die Schweiz ein Einwanderungsland. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg kamen auch mehr Menschen, weil die Unternehmen ihr Personal nicht mehr ausreichend im Inland rekrutieren konnten. Aber auch, weil die Gastarbeiter günstiger waren als Schweizer Arbeitende. Dieser Lohndruck durch ausländische Arbeitende befeuerte Xenophobie und Rassismus zusätzlich, welche die verstärkte Einwanderung in die Schweiz von Beginn weg begleitete. Von der Schwarzenbach- über die Masseneinwanderungs- bis zur Begrenzungsinitiative: Immer wurden ausländische Arbeitende für alle möglichen und unmöglichen Missstände verantwortlich gemacht. Es ist das Verdienst der Gewerkschaften, dass sie in den 1990er-Jahren diese Spirale der falschen Beschuldigungen durchbrachen und die Einführung der Personenfreizügigkeit nutzten, um über die flankierenden Massnahmen (FLAM) einen wirksamen Lohnschutz zu etablieren. Seither sollte jedem klar sein, dass das Problem tiefer Löhne nicht bei ZuwandererInnen liegt, sondern in einem unregulierten Arbeitsmarkt, der es Unternehmen erlaubt, die billigsten Arbeitskräfte auszubeuten. Das zeigt sich auch daran, dass die Löhne seit Einführung von Personenfreizügigkeit und FLAM insgesamt – wenn auch immer noch zu wenig – überproportional gestiegen sind. Gleichzeitig sind im Verhältnis zu Gesamtbevölkerung weniger Leute in die Schweiz eingewandert als vor Einführung des Systemwechsels zur Personenfreizügigkeit.

Weniger Zuwanderung ist nicht das Ziel der reichen SVP-Elite

Das eigentliche Absicht der SVP ist die Deregulierung des Arbeitsmarktes, wie Multimilliardärin Magdalena Martullo-Blocher an einer Medienkonferenz 2018 unverhohlen zugab. Das Ziel lautet also schlicht: tiefere Löhne. Weniger Zuwanderung ist nicht das Ziel der reichen SVP-Elite.

Die Zuwanderung hat die Schweiz verändert. Eine Studie im Auftrag der zehn grössten Schweizer Städte hat 2015 ergeben, dass sich die Zuwanderung gesellschaftlich und wirtschaftlich überwiegend positiv auf die Entwicklung der urbanen Räume ausgewirkt hat. Einerseits, weil die Zugewanderten einen substanziellen Beitrag zur Produktivitätssteigerung und dem Wohlstand der Schweiz beigetragen haben. Andererseits, weil die Zugewanderten die Gesellschaft messbar vorwärts gebracht haben. Die Innovationskraft von Wissenschaft und Kultur ist gestiegen und die Bevölkerung wurde verjüngt, was auch den Sozialwerken zugute kam. Schliesslich förderte die Zuwanderung die internationale Vernetzung der Schweiz – insbesondere in Europa –, was wiederum die Attraktivität und die politische Stabilität der Schweiz erhöhte. 

Diese gefühlt engere Anbindung an Europa ist es denn auch, was die SVP neben der Stärkung der Arbeitsrechte stört. Blochers Hass auf politische Institutionen, die den ungezügelten Markt hemmen, ist seine eigentliche politische Leidenschaft. Und nach Jahrzehnten der politischen Spiegelfechterei in allerhand migrations- und europapolitischen Themen wagt er an seinem Lebensende die finale Schlacht: Die endgültige Zerstörung der Beziehungen zur verachteten supranationalen Institution EU.

Letztlich geht es am 27. September um die Frage, wer dazu gehört und wer nicht. Was die Schweiz ausmacht. Anzuerkennen, dass die Zugewanderten die Schweiz bereichern. Eine Mehrheit derer, um die es geht, ist von dieser Debatte ausgeschlossen. In der Stadt Zürich besitzen von der grössten Bevölkerungsgruppe, den 30 bis 39-Jährigen, fast 50 Prozent keinen Schweizer Pass und damit keine politischen Rechte. Die SVP-Initiative würde diesen Menschen auch noch die wirtschaftlichen und sozialen Rechte wegnehmen, über die sie heute dank der flankierenden Massnahmen verfügen. Dieser an und für sich elitären Überlegenheitsideologie gilt es entgegenzuhalten: Wir lassen uns nicht spalten! Wir kämpfen dafür, dass die demokratischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in diesem Land für alle gelten. Und wir kämpfen dafür, dass, wer hier lebt, auch wirklich dazugehört. Denn die Zuwanderung macht uns als Gesellschaft divers und stark. 

Scheitert die aktuelle SVP-Initiative, hat die Partei ihr Pulver erst einmal verschossen. Ein Nachfolgeprojekt für die Zerstörung des Integrationswunders Schweiz und ihrer Beziehungen zu Europa steht momentan nicht bereit. Ein Nein wäre der Abschluss einer Reihe von verlorenen Abstimmungen der SVP, die ihr den Nimbus des Unschlagbaren genommen haben. Vielleicht ist dann endlich der Moment, an dem die Linke in die Offensive gehen und die Mitbestimmung aller in der Schweiz erhöhen sowie die Integration der Schweiz in Europa vorantreiben kann. Denn Zuwanderung und europäische Zugehörigkeit sind die Grundlage der Schweiz. Machen wir für alle das Beste draus!

Dieser Text erschien am 11.09.20 zuerst im «P.S.».